NGC 5348, NGC 5356, NGC 5360, NGC 5363, NGC 5364 (=NGC 5317) und UGC 8818 (Mahtessian 209) in der Jungfrau

Am 25.05.2020 wurde der Transient Name Server (TNS), der beim Weizman Institut in Israel geführt wird und bei dem alle plötzlichen Helligkeitsveränderungen registriert werden, über eine mögliche Supernova in NGC 5363 informiert. Das Ereignis erhielt die laufende Nummer AT2020leu. Das AT vorweg steht für ein Bekanntmachung eines möglichen Ereignisses. Wenn das Ereignis als Supernova bestätigt wurde, wird das AT durch ein SN ersetzt. Der Entdecker, ein Amateurastronom, beschrieb die Supernova als sehr hell (etwa 13 mag). Doch als ich die Koordinaten der Supernova, die der TNS angab, in Aladin prüfte, stieß ich auf einige Merkwürdigkeiten.

Die angegebenen Koordinaten bezeichneten eine Position etwa 8 Bogenminuten südöstlich von NGC 5363 fernab der Galaxie und auch weit von LEDA 49602 entfernt, der der Position nächstgelegenen Galaxie. Die Koordinaten markierten einen Punkt, an dem weder eine Galaxie sichtbar war, noch Ausläufer einer nahegelegenen Galaxie vermutet werden konnten. Der Punkt lag mitten im Nirgendwo. Ich habe keine Erklärung, woher diese Koordinaten stammen oder wie sie zustande gekommen sein könnten.

Ich prüfte als Nächstes die Entdeckungsmeldung und fand als Beschreibung, dass der Entdecker die Supernova etwa 6,6 Bogensekunden südwestlich des Kerns von NGC 5363 gefunden hatte. Das war eine ganz andere Position als diejenige, auf die die Koordinaten des TNS verwiesen.

Also startete ich die Aufnahme von NGC 5363. Diese helle Supernova wollte ich trotz des Mondlichts (ein Tag vor dem ersten Viertel) haben! Als das erste Bild von der Kamera am Computer eintraf, war in der Tat ein heller Stern knapp neben dem Galaxienkern zu sehen, der gut und gerne eine Supernova sein konnte. Aber Stopp! Ich erkannte das Bildfeld und entdeckte, dass ich bereits in 2018 diese Galaxiengruppe mit derselben Optik und derselben Kamera aufgenommen hatte (damals ohne störendes Mondlicht). Der helle Stern war bereits auf der alten Aufnahme sichtbar und war ein Vordergrundstern unserer Milchstraße, der leicht für eine Supernova gehalten werden konnte. Nach dieser Erkenntnis stoppte ich die Aufnahme nach einer guten halben Stunde. Für den Nachweis der Fehlidentifikation reichte sie.

Der Entdecker hatte berichtet, dass er die Helligkeit der vermeintlichen Supernova durch den Vergleich ihrer Helligkeit mit der von nahen Sternen mit Hilfe des DSS und WIKISKY ermittelt hatte. Wieso hat er den Vordergrundstern nicht bemerkt, als er seine Aufnahme mit denen von Himmelsdurchmusterungen verglich? Ich kann es nur vermuten. Der Stern ist so nahe des Kerns, dass er auf den Fotoplatten des POSS I und POSS II (letzterer war die Basis für den DSS) nicht sichtbar war, weil das Galaxienzentrum ausgebrannt war und als großer heller Fleck den Stern mit abdeckte. Die Bilder von neueren Durchmusterungen mittels CCD-Aufnahmen wie dem SDSS zeigen den Stern, allerdings mit einer ähnlichen Helligkeit und Farbe wie den Galaxienkern. Man muss schon sehr genau hinsehen, um den Stern zu entdecken. Wenn man von seiner Existenz nichts weiß, kann man ihn leicht übersehen. Dummerweise gibt es noch mehr Galaxien, die solche Fallen bieten.

Der Entdecker hatte sogar eine zweite Aufnahme am Folgetag gemacht, die die vermeintliche Supernova bestätigte, bevor er die Entdeckungsmeldung an den TNS schickte. Leichtfertigkeit kann man ihm also keineswegs unterstellen. Naja, es kam, wie es kommen musste: Die Galaxie stand günstig am Himmel, und so dauerte es nicht lange, bis am 04.06.2020 der nächste "Entdecker" auf den kernnahen Stern hereinfiel (AT2020lrn). Dieses Mal hatte der TNS aber bessere Vergleichsbilder im Angebot, die den Stern eindeutig zeigten.

Das Bildfeld in voller Auflösung erreicht man beim Klick ins Bild oder hier. Die Bezeichnungen der helleren Objekte werden auf der Aufnahme aus 2018 (weiter unten) eingeblendet.

Datum: 29.05.20, 23:59h MEZ

Optik: f=750mm f/5,4

Nachführung: TVGuider mit Watec 120N an 90mm f/5,6

Gesamtbelichtungszeit: 36 min (Einzelbilder: 180 Sekunden)

Kamera: Atik 460EX

 

Es gibt einige Gegenden am Himmel, in denen ich seltener unterwegs bin. Meistens handelt es sich um Gegenden um den Himmelsäquator und südlich davon, weil ich die von meiner Sternwarte aus schlecht erreiche. Das Sternbild Jungfrau zählt dazu, zumindest große Teile davon. Deshalb ist mir auch diese großartige Galaxiengruppe bisher entgangen, deren Licht etwa 60 Millionen Jahre bis zu uns benötigt. Das ist sozusagen noch die kosmische Nachbarschaft. Die Gruppe hat auch die Katalognummer Mahtessian 209 in dem eher unbekannten Katalog des armenischen Astronomen Abraham Mahtessian. Der Katalog beruht auf seiner Dissertation in 1989, in der er solche Galaxiengruppen untersucht hat.

Die hellste und massereichste Galaxie dürfte die Elliptische Galaxie NGC 5363 sein. Nach Simbad trägt sie zum Galaxientyp E den Zusatz gas für gasreich. Das mutet im ersten Augenblick wie ein Widerspruch an, weil Elliptische Galaxien nur alte Sterne und kein Gas enthalten. Sternentstehung ist in ihnen nicht mehr möglich. Im Allgemeinen stimmt das auch, aber NGC 5363 enthält nicht nur Gas, sondern auch Staub, wie man auf meiner Aufnahme deutlich in der Nähe des Kerns sieht. Gas und Staub stammen von einer gasreichen Zwerg- oder Spiralgalaxie, die sich NGC 5363 einverleibt hat und deren zerrissene Reste jetzt noch um den Kannibalen kreisen. Wenige Bogensekunden westlich des Kerns befindet sich ein Vordergrundstern aus unserer eigenen Galaxie.

Südlich von NGC 5363 steht die großartige Spiralgalaxie NGC 5364. Sie ist offensichtlich zweimal entdeckt worden und wurde beim ersten Mal mit falschen, etwas weiter westlich gelegenen Koordinaten registriert. Deshalb hat sie auch noch die Zweitbezeichnung NGC 5317. Man kann den Verlauf der beiden mächtigen Spiralarme über mehr als eine Umdrehung verfolgen. Der Kern ist von einem Ring umgeben, an dem gegenüberliegend im Nordosten und Südwesten die Spiralarme ansetzen. Ganz symmetrisch verlaufen sie nicht, und der eine fächert im Süden breit und diffus auf. Der andere macht es weniger stark uns ist auch etwas enger an der Galaxienscheibe anliegend. NGC 5364 wirkt dadurch leicht gestört.

Mit NGC 5348 und NGC 5356 ergänzen zwei weitere Spiralgalaxien die Gruppe. Beide sehen wir fast genau in Kantenlage, was ein paar Staubstrukturen vor der Scheibe erkennen lässt. Die Zwerggalaxie NGC 5360 westlich von NGC 5364 vervollständigt das Quintett. Die kleine Spiralgalaxie UGC 8818 nördlich von NGC 5348 befindet sich etwas weiter entfernt und gehört nicht zur Gruppe.

Zwei Kleinplaneten haben sich ins Bild gemogelt. In der unteren rechten Ecke hat der 17,2 mag helle (18336) 1988LG seine Bahn gezogen. Etwas unterhalb der Mitte des rechten Bildrands zog (28866) Chakraborty mit einer Helligkeit von 18,1 mag seine Spur. Da ich gern Supernovae fotografiere, kontrolliere ich auch meine Aufnahmen immer auf zusätzliche Sterne. Bei NGC 5364 vermisste ich allerdings einen kleinen Stern vor der Scheibe, der auf der Aufnahme des SDSS sichtbar war. Auch auf dem gestackten und noch nicht weiter bearbeiteten Bild war der Stern nicht drauf. Hatte der SDSS da einen kataklysmischen Variablen im Ausbruch erwischt? Die Auflösung brachte eine höhere Vergrößerung der SDSS-Aufnahme. Da war der Stern nämlich mehrfach und in verschiedenen Farben vorhanden. Der SDSS hatte einen Kleinplaneten erwischt, der zwischen den Filterwechseln ein wenig weiter gewandert war.

Das Bildfeld in voller Auflösung erreicht man beim Klick ins Bild oder hier. Dann werden auch die Bezeichnungen der helleren Objekte eingeblendet.

Datum: 08.05.18, 00:51h MEZ

Optik: f=750mm f/5,4

Nachführung: TVGuider mit Watec 120N an 90mm f/5,6

Gesamtbelichtungszeit: 72 min (Einzelbilder: 180 Sekunden)

Kamera: Atik 460EX

 

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